Harley Benton SC-Custom & SC-Custom Active im Test
von Redaktion,
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Och nee, geh mir bloß weg mit dem billigen Zeugs … schon die Erwähnung von Gitarren aus der Billigpreisebene löst erst mal klare Abwehrhaltungen aus. Und womit hast du damals angefangen? Berechtigte Frage – was also bekommt man heute geboten für schmales Geld?
(Bild: Dieter Stork)
Gitarren die € 199 und € 229 kosten? Versuch einmal, nur das Material dafür einzukaufen, ganz zu schweigen von Fracht, Zoll, Steuer und Händlergewinnmarge, was soll denn da in der Produktion und bei den Arbeitskräften noch ankommen? Schwer zu glauben, dass dabei noch funktionstüchtige Instrumente herausspringen sollen. Das weiße SCCustom- Modell ist dann auch noch in Vintage Black, Honey Flame und Lemon Flame zu haben; die SC-Custom Active gibt es nur in Vintage Black. In Schwarz liegt überdies auch noch eine P90-Version vor.
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Konstruktion
Die vorgelegten Single Cutaway-Modelle sind in klassischer Anlehnung optisch durchaus ansprechend gestaltete Instrumente. Das von der Les Paul inspirierte Design nimmt Modernisierungen auf, die schon bei anderen Single-Cut-Updates zu sehen waren, in diesem Fall stand ganz offensichtlich die ESP/LTD Eclipse Pate. Beide Gitarren wurden deckend lackiert, wir können folglich nicht sehen, aus wie vielen Teilen Mahagoni der Korpus zusammengesetzt ist. Die gewölbten Frontseiten sind mit Multi-Bindings eingefasst; Konturen finden wir am Boden oben und im Cutaway innen. Bei beiden Gitarren messen wir am Halsansatz eine Plattenstärke von ca. 43 mm. Das ist nicht wenig, liegt aber deutlich unter derjenigen einer Gibson Les Paul.
Die Hälse bestehen ebenfalls aus Mahagoni. In das gebundene Griffbrett aus Palisander wurden 22 gar nicht mal schlecht verarbeitete Bünde gesetzt; Trapez-Inlays kennzeichnen die Lagen. Die im Winkelübergang leicht verstärkten Kopfplatten sind mit Split Rhombus-Einlagen und Mehrfach-Binding verziert; Rotomatic- Mechaniken von Grover gewährleisten verlässliche Stimmung. Die Hälse der beiden Modellversionen unterscheiden sich durch ihre Formgebung: die weiße SC-Custom verfügt über ein maßvoll gestaltetes C-Profil; die SC-Custom Active über ein unten etwas breiter und grundsätzlich flacher ausgebautes Profil. Gemeinsam ist beiden Modellversionen dann wieder die Tune-o-matic Bridge am Korpus mit Stop Tailpiece zur Saitenkonterung. Der wesentliche Unterschied bei unseren Probanden liegt in ihrer elektrischen Ausstattung. Die SC-Custom ist die klassische Variante mit Alnico-Vintage-Style-Humbucker- Bestückung von Wilkinson; das SC-Custom-Active-Modell verfügt über eine aktive Schaltung mit Roswell-Pickups (Alnico am Hals/Ceramic am Steg) und ist damit ein Vertreter der modernen Art, der sich an Spieler härterer Gangarten wendet.
Die Schalt- und Steuermimik ist bei beiden Instrumenten dann wieder identisch: der Pickup-Schalter vorn oben auf der Decke schaltet die Tonabnehmer einzeln oder zusammen; die modern in Reihe und versenkt platzierten Regler unten gewähren schnellen Zugriff auf die beiden Lautstärkeregler vorn (erst Hals-Pickup, dann Steg-Pickup) und den generell arbeitenden Tonregler hinten.
Den Verarbeitungsstatus in Hinsicht auf die Funktion können wir jeweils ordentlich nennen. Die Saitenlage ist gut spielbar eingerichtet, die Einstellung der Oktavreinheit okay. Bei der Lackierung liegt die SC-Custom mit ihrer achtbar ausgeführten weißen Glanzlackierung klar vorn. Das matte Finish zeigt da deutlichere Schwächen mit ungleichmäßiger Ausführung – aber geschenkt. Wer liegt schon auf dem Bauch vor seiner Gitarre und sucht nach Unebenheiten im Lack? Zum Lieferumfang gehören etwas grobschlächtige Strap Locks.
Praxis
Beide SC-Versionen wiegen um die 4,2 kg, nicht eben leicht, aber für Les- Paul-Typen auch nicht überraschend schwer. Unsere Kandidaten bieten mit nicht perfekt, aber praktikabel eingestellten Saitenlagen und glatten Bundoberflächen mitsamt ordentlich abgerundeter Außenkanten erstaunlich guten Griffbrettzugang. Das ist schon einmal erfreulich viel besser, als das bei den berüchtigten „Eierschneidern“ früherer Jahre der Fall war. Vom Spielgefühl her wenden sich die beiden Versionen an unterschiedliche Spielertypen, die wir etwas klischeehaft als Traditionalisten und Metaller charakterisieren könnten. Will meinen: die weiße Braut kommt mit herkömmlichen Humbuckern (die wir aber, haha, natürlich auch bei Spielern aller möglichen Hardcore-Genres finden); der schwarze Engel kommt mit aktiver Schaltung und leistungsstarken Pickups (bei traditionellen Blues- oder Rock-Spielern kaum anzutreffen). Auch die Hälse folgen diesen Kategorisierungen: mittelstark rundlich bei der SC; flach und unten breiter ausgelegt bei der SC Active (soll Gerüchten zufolge schneller sein).
DC-Custom mit traditioneller Humbucker-Bestückung (Bild: Dieter Stork)
Akustisch sind diese Single Cuts nicht besonders auffällig, aber eben auch nicht im negativen Sinne. Akkorde werden leidlich sauber in ihren Stimmen dargestellt, die Tonlänge ist achtbar gut. Im elektrischen Betrieb unterscheiden sich diese Ladies dann doch deutlich – getreu ihrer Ausstattung – voneinander. Die SC-Custom mit traditionellen Humbuckern klingt gemäßigter, runder; die Active-Version direkter, präsenter und bissiger (um nicht zu sagen aktiver). Schön die Wahl zu haben: Die weiße Custom ist mit ihren Wilkinson- Humbuckern sicher die bessere Wahl für Blues, Blues-Rock und Verwandtschaft.
Über den Hals-Pickup tönt sie klar und voll, durchaus auch ausgeglichen in der harmonischen Darstellung und im Solospiel lässt sich mit schönem Sustain und passabler Farbgebung locker arbeiten. Der Steg-Pickup macht das Bild enger, hat etwas Watte in den Mitten, aber noch ganz brauchbare Höhen – damit kann man auch in der Abteilung Clean noch etwas anfangen. Geben wir Gas und gehen auf Zerre, so sägt es wohl etwas mehr als bei guten Tonabnehmern (die den Gesamtpreis dieser Gitarre aber auch leicht mal übersteigen), ansonsten ist der Ton durchaus stabil und schwingt gut aus – auch das also ganz ordentlich!
Die moderne Version DC-Custom Active (Bild: Dieter Stork)
Stöpseln wir um auf die SC-Custom Active, so springt die nach vorn, kommt uns also mit deutlich höherem Output. Das Tonverhalten ist offensiver, hat die stärkere Präsenz und glitzert deutlich mehr. Obwohl im Ausdruck etwas kühler, macht die Leichtigkeit der Tonerzeugung einfach Spaß. Der Ton ist sofort da, um den muss man nicht kämpfen. Der Hals- Pickup überträgt Akkorde breitbandig aufgelöst und mit achtbarer Transparenz. Mit dem hohen Output ist der Amp aber auch leicht zu übersteuern. Was mit herkömmlichen Pickups noch schön clean rüberkommt, franst mit der aktiven Elektrik angesteuert an den Rändern schnell mal aus. Der Pickup mit keramischem Magnet am Steg drückt schwer aus der Mitte heraus. Bei klar eingestelltem Amp hat das schnell was von reißendem Papier.
Dennoch lässt sich auch mit ihm ordentlich arbeiten. Schön bissig und aggressiv kommt der natürlich im High Gain, wo er mit reichlich Kompression und stark betontem Attack ordentlich Alarm macht. Wünschen würde ich mir am Ende nach einiger Spielzeit die umgekehrte Reihenfolge der prinzipiell gut platzierten Volume- Regler, also denjenigen für den Steg-Pickup vorn angeordnet. Das Einblenden des Tons mit dem kleinen Finger der rechten Hand wirkt auf den Tonabnehmer am Steg halt effektiver.
Gut erreichbar angeordnete Regler (Bild: Dieter Stork)
Alternativen
Das ist so eine Sache mit den billigen Gitarren. Besonders um Weihnachten herum gibt es etwa von großen Supermarktketten Gitarren aller Art für zum Teil schon deutlich unter Hundert Euro und da ist dann oft sogar auch noch ein Gurt, Stimmgerät, Kabel, Ständer oder Lehrmaterial dabei. Wie soll das gehen? Das kann weder ökonomisch, sozial, noch ökologisch gesund sein. Davon sollte man unbedingt die Finger lassen. Niemand kann mit solcherlei Trash Spaß am Musikmachen bekommen! Preisgünstige, aber auch spielbare Les-Paul-Typen gibt es natürlich schon, aber ob das nun eine Harley Benton, oder (etwas teurer) eine Epiphone Les Paul, eine Vintage Icon, eine Cort Classic Rock oder eine VGS Eruption ist (um einmal vier Alternativen zu nennen), meine Empfehlung lautet: nimm sie vor dem Kauf immer erst in die Hand, denn die Qualitätsstreuung in diesem Bereich ist groß!
Resümee
Na schau einmal an: die vorgelegten Billigheimer SC-Custom und SC-Custom Active von Harley Benton sind für ihren Preis durchaus brauchbare Instrumente. Die Grundausstattung, was Hölzer, Hardware und Elektrik angeht, ist nicht mal schlecht, die Verarbeitung okay und die Einstellung der Saitenlage und Oktavreinheit ordentlich. Niemand wird in dieser Kategorie viel erwarten und ist dann doch erstaunt, was heute für lässiges Geld so alles möglich ist. Mit den Ausrichtungen auf Classic Rock, Blues etc. (SC-Custom), bzw. Modern, Heavy, Shredding aller Art (SC-Custom Active) stehen dem Interessenten auch zwei verschiedene, den jeweiligen Genres angemessene Halsprofile zur Verfügung. Spielen lassen sich beide Gitarren zwanglos gut und das ist vor allem für Einsteiger der wohl wichtigste Aspekt. Diese Gitarren machen den Anfang leicht, verderben nicht den Spaß an der Sache und das ist doch allein schon eine ganze Menge. Ein persönlicher Test ist dennoch immer angeraten!