Mansons neue Bass-Macht

Juan Alderete: Für mich ist Manson mehr Depeche Mode als Metal

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Juan Alderete
(Bild: TC Electronic)

Racer X, The Scream, Big Sir, The Mars Volta: Wer in diesen Formationen gespielt hat, muss sein Instrument wirklich perfekt beherrschen. Von Juan Alderete de la Peña kann man dies mit Fug und Recht behaupten. Der 54-jährige Amerikaner mit mexikanischen Vorfahren gehört zu den begehrtesten Bassisten der Musikszene in Los Angeles und seit wenigen Monaten auch zum Tourtross von Schockrocker Marilyn Manson, der im Herbst 2017 seinen etatmäßigen Tieftöner Twiggy Ramirez aka. Jeordie White aufgrund erhobener Vergewaltigungsvorwürfe einer Ex-Freundin kurzerhand feuerte.

Alderete hatte deshalb nur eine Woche Zeit, um sich auf die anstehende Europatournee vorzubereiten, überzeugte seine neuen Kollegen aber dennoch mit tadelloser Materialkenntnis und großer künstlerischer Flexibilität. Wir trafen den freundlichen Instrumentalisten im Rahmen der Manson-Show in Düsseldorf, schauten uns sein aktuelles Live-Equipment mit Warwick-Bässen und Ampeg-SVT-4-Amps an, und unterhielten uns mit ihm unmittelbar nach dem Soundcheck über das Abenteuer, in der Band des derzeit wohl exzentrischsten Rocksängers der Welt zu spielen.

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Manson Shannon Gabriel
Ein großes Dankeschön geht an Tyler Bates Guitar-Tech Shannon Gabriel, der sich viel Zeit genommen hat, uns das Band-Equipment zu zeigen und jede noch so hartnäckige Frage zu beantworten. (Bild: Matthias Mineur)

interview

Juan, wo bist du geboren und wie kamst du zur Musik?

Juan Alderete: Ich stamme aus Los Angeles. Mein Vater spielte zwar kein Instrument, war aber ein riesiger Jazz-Fan. Er hörte Charlie Parker, John Coltrane und spielte mir all seine Jazz-Scheiben vor. Neben Saxofon war Bass sein Lieblingsinstrument, deshalb forderte er mich ständig auf, mir die jeweiligen Bass-Soli besonders intensiv anzuhören. Als mich dann irgendwann ein paar Freunde fragten: „Wir gründen eine Band, bist du dabei?“, stand für mich fest, dass es nur ein Instrument für mich geben konnte, nämlich den Bass. Dann zog meine Familie in die Gegend um San Francisco, wo es eine riesige Metal-Szene gab.

Später bist du wieder zurück nach Los Angeles gegangen, oder?

Juan Alderete: Richtig. Ich besuchte dort die Musikschule und traf Paul Gilbert. Mit ihm zusammen formierte ich Racer X, mit Sänger Jeff Martin und einem Wiener Schlagzeuger namens Harry Gschösser. Aufgrund von Visa-Problemen musste Harry nach dem ersten Album zurück nach Österreich, für ihn kam Scott Travis, der heute bei Judas Priest trommelt. Mit Racer X habe ich zwei Studio- und ein Live-Album veröffentlicht.

Allerdings fühlte ich mich im Heavy Metal nie wirklich Zuhause. Ich stand eher auf andere Sachen, mochte New Wave und U2, Killing Joke und Joy Division, aber natürlich auch Van Halen oder AC/DC, und ebenso Soul und Motown. Durch meinen älteren Bruder angeregt, interessierte mich auch Progressive Rock wie der von Yes, Emerson, Lake & Palmer, Frank Zappa oder King Crimson, während mich meine jüngere Schwester auf deutsche Bands wie Kraftwerk oder Can aufmerksam machte. Meine ältere Schwester stand auf Elton John und Queen, mein jüngerer Bruder auf HipHop. Während ich bei Racer X war und alle auf Heavy Metal schworen, hörte ich mit meinem Bruder Hip-Hop. Du merkst schon: Es gibt eigentlich nichts, was ich nicht mag.

Klingt nach einem gut trainierten Gehör!

Juan Alderete: So ist es. Das war die Grundlage für meine Band Pet, zu der auch Mansons heutiger Gitarrist Tyler Bates und die Sängerin Lisa Papineau gehörten und aus der dann Big Sir mit Tim Commerford von Rage Against The Machine und Bruce Bouillet von Racer X hervorging.

Durch Big Sir wurden auch die Musiker von The Mars Volta auf dich aufmerksam, oder?

Juan Alderete: Stimmt. Ihr Gitarrist Omar Rodriguez Lopez, der aus Puerto Rico stammt, sprach mich 2003 an und wollte mich für eine Tournee verpflichten. Daraus wurden schließlich zehn Jahre Vollzeitmitgliedschaft. (grinst) Auf dem Debütalbum von The Mars Volta ist noch Flea von den Red Hot Chili Peppers zu hören, doch die anschließenden fünf Scheiben habe dann ich eingespielt.

Ampeg 8x10“ Boxen
Bei Alderete immer extrem laut: die Ampeg 8×10“ Boxen (Bild: Matthias Mineur)

War The Mars Volta für dich die größte musikalische Herausforderung?

Juan Alderete: Ja und nein. Alle meine Bands waren auf ihre spezielle Weise eine besondere Herausforderung. Hör dir nur mal die Racer-X-Nummer ,Scarified‘ an, dann kannst du erahnen, was die Zusammenarbeit mit Paul Gilbert für einen Bassisten bedeutet. Paul kam mit dem Song an und sagte: „Hier, bitte lerne das!“ Aber die Parts waren für die Gitarre komponiert, und ein Bass ist nun einmal viel größer und dicker als eine Gitarre. Das brachte mich ganz schön ins Schwitzen. Die größte Herausforderung mit Racer X war, dass wir immer vor Publikum spielten, das überwiegend aus Musikern bestand. Schwierig, schwierig!

Demgegenüber muss die Arbeit bei Marilyn Manson für dich doch eine Art Sanatorium sein, oder?

Juan Alderete: Täusch dich nicht! An der Oberfläche klingen die Songs vielleicht simpel, aber sie bestehen aus vielen Stopps und ungewöhnlichen Breaks, und wenn man die nicht bis ins kleinste Detail kapiert hat, ruiniert man die Komposition. Außerdem darf man nicht vergessen, dass ich nur eine Woche Zeit hatte, um das gesamte Material zu lernen. Und ich kannte vorher nicht einen Song von Manson! Um entspannt zu sein, muss ich die Songs in- und auswendig kennen. Außerdem habe ich nur wenig theoretische Kenntnisse und kann Noten nur sehr begrenzt lesen. Das ist bei den anderen Manson-Musikern anders. Gil Sharone ist ein phänomenaler Drummer, Tyler ein genialer Filmmusikproduzent und auch unser Hauptgitarrist Paul Wiley schreibt Soundtracks, kann Noten lesen und spielt zusätzlich Keyboards. Ich dagegen bin nur Bassist. Ich kann zwar auch ein wenig Gitarre und Keyboards spielen, aber im Grunde genommen bin ich ein einfacher Bassist in einem Umfeld von Musikern, die mir meilenweit überlegen sind.

Wenn der technische Aspekt der Manson-Songs nicht das Problem ist, sondern mehr die ausgetüftelten Arrangements, ändern sich dadurch dein Spiel und dein Sound? Offenbar spielst du im Unterschied zu deiner Zeit bei Racer X nicht mehr mit den Fingern sondern mit Plektrum.

Juan Alderete: Das stimmt, das wird bei Manson von einem Bassisten erwartet. Meine Vorgänger mussten das auch. Ich finde zwar, dass bei den Nummern mit Shuffle-Grooves Finger besser klingen würden, aber es hieß sofort: „No, use the pick!“

Justierst du deinen Verstärker und deine Effekte anders, wenn du statt mit den Fingern durchgehend mit dem Plektrum spielst?

Juan Alderete: Ich habe ja eine Internetseite namens pedalsandeffects.com, deren Name sich selbst erklärt. Ich habe in meinem Studio etwa 600 Effektpedale, also rechneten alle damit, dass ich ein ganzes Arsenal an Pedalen mitbringe, was ich zu den ersten Proben mit Manson auch tat. Die anderen waren darüber allerdings nicht sonderlich erfreut. Mein Basstechniker Mark sagte: „Du solltest nur das verwenden, was sie gewohnt sind.“ Also hörte ich mir die alten Aufnahmen an und entschied mich für das Mesa Boogie Throttle Box EQ Distortion-Pedal. Einzig bei dem Song ,We Know Where You Fucking Live‘ experimentiere ich mit einem Delay und einem Chorus. Ich hoffte, noch ein paar mehr Effekte unterbringen zu können, aber an so etwas müsste man die Jungs langsam gewöhnen, und dafür fehlte mir die Zeit.

Juan Alderete Effektpedale
Die Effektpedale Mesa Boogie Throttle Box EQ, Boss NS-2 Noise Gate, Fat 314.c Chorus und Source Audio Nemesis Delay (Bild: Matthias Mineur)

Deshalb konzentriere ich mich auf die Interaktion auf der Bühne, die für die anderen bereits Routine ist, weil sie schon seit drei, vier Jahren in der Band sind. Also sagte ich zu Mark: „Schalte du bitte immer den Effekt ein, der gerade gefordert ist.“ Einen solchen Service wollte ich schon immer mal haben, denn mein großes Idol, The Edge von U2, lässt sich seine Effekte auch von seinem Techniker schalten. Ich finde es herrlich, dass ich mich ausschließlich aufs Spielen konzentrieren kann. Bei The Mars Volta hatte ich vier Pedalboards um mich herum auf der Bühne. Alles in allem waren gut 50 Pedale im Einsatz. Bei Manson sind es zurzeit vier oder fünf, so wenige wie noch nie in meinem Leben.

Gibt es Dinge, die du als Musiker von den Manson-Songs lernen kannst?

Juan Alderete: Oh ja, ich habe schon jetzt unglaublich viel gelernt. Mit Tyler habe ich bereits in der Band Pet gespielt, ich kenne ihn also seit vielen Jahren. Er gab mir damals Songs zum Lernen, deren Struktur ich nicht verstand. Da waren 15/8tel-Grooves und Ähnliches, die mir im Leben nicht einfallen würden. Ich fragte mich, was das solle, aber wenn Tyler es erklärt und mir die Details nähergebracht hatte, verstand ich, wie viel Einfluss solche Kleinigkeiten auf einen Song haben können. Auch die Nummer, die ich gerade übe, weil wir sie heute Abend zum ersten Mal spielen wollen, hat kleine Extras, die unter der Oberfläche schlummern, dem Stück aber immer wieder ein neues Gesicht geben. Das ist Tylers Genialität.

Und dann Manson selbst: Man weiß eigentlich gar nicht so genau, was er da überhaupt macht. Die Leute bezeichnen seine Musik als Heavy Metal, aber ich finde, der Begriff passt nicht. Für mich ist Manson mehr Depeche Mode als Metal. Er liebt Swing-Grooves, für mich ist das Depeche Mode oder The Cure, auch wenn Manson harte Gitarren einsetzt. Seine Musik basiert auf ganz unterschiedlichen Einflüssen, sodass es manchem Zuhörer zu viel ist. Manson geht Risiken ein, und das macht die Sache für mich so aufregend.

Haben Manson und Tyler Bates dir eigentlich konkret erklärt, was sie von dir erwarten? Sollst du haargenau das spielen, was man auf den Studioalben hört? Oder darfst du auch dein eigenes Feeling einbringen?

Juan Alderete: Beides, würde ich sagen. Ich habe eines gelernt, und das erzähle ich auch immer meinen Schülern: Jede Band, die dich verpflichtet, sagt vorher „Spiel genau das, was du für richtig hältst, mach dein Ding!“ Ich traue solchen Aussagen nicht und lerne exakt das, was man auf dem betreffenden Album findet. Dann spiele ich das und höre jedes Mal: „Du bist genial, das ist genau das, was wir von dir hören wollen!“ Wenn ich etwas spiele, was die Band nicht gewohnt ist, muss ich anschließend alles wieder ändern. Es klingt sowieso immer ein klein wenig anders als auf Scheibe, denn die Umgebung ist ja auch eine ganz andere.

Ampeg SVT-4 Pro
Sein Rack mit den drei Ampeg SVT-4 Pro (Bild: Matthias Mineur)

Ist es anstrengend, in einer Band mit einem Exzentriker wie Manson zu spielen?

Juan Alderete: Nein. Alles in dieser Band ist wohldurchdacht. Ich mag das. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so pedantisch auch an kleinsten Details arbeitet. Er ist ein Genie, und das ist auch der Grund, weshalb er immer noch so viel Erfolg hat.

Gibt es neben der Manson-Band andere Projekte, an denen du aktuell beteiligt bist?

Juan Alderete: Nachdem sich The Mars Volta 2012 aufgelöst hatten, bin ich in eine Hip-Hop-Band namens Deltron 33 eingestiegen, die aus Mitgliedern des ersten Gorillaz-Albums besteht: Kid Koala, einer der besten DJs der Welt, Produzent Dan The Automator und Del Tha Funkee Homosapien, ein berühmter Rapper. Mit Deltron 33 war ich zweieinhalb Jahre lang auf Tour, wir waren auf dem Glastonbury, auf Festivals in Europa und Amerika. Außerdem spiele ich mitunter mit der Rap-Band Dr. Octagon. Darüber hinaus habe ich eine eigene Gruppe namens Halo Orbit, zu der die japanische Gitarristin Sugar Yoshinaga und Schlagzeuger Mark Guiliana gehören, der auf dem letzten Album ,Blackstar‘ von David Bowie getrommelt hat. Sugar und ich schreiben die Songs, wir machen eine Mischung aus progressiver und elektronischer Musik.

Letzte Frage: Was gibt es Neues von der Warwick-Front?

Juan Alderete: Die Warwick-Bässe habe ich erst vor fünf Jahren über Jonas Hellborg auf der NAMM Show kennengelernt. Ich spielte Hellborgs Bass und war restlos begeistert. Ich sagte: „So einen muss ich auch haben! Wo bekomme ich ihn?“. Heute, fünf Jahre später, habe ich endlich so einen. Es hat so lange gedauert, weil Hans-Peter Wilfer von Warwick möchte, dass man sich zu 100% mit seinen Produkten identifizieren kann. Deshalb ist mein aktuelles Hauptinstrument das Adam-Clayton-Signature-Modell. Zusätzlich habe ich auf dieser Tour einen Warwick Streamer dabei. Hin und wieder sprechen Hans-Peter und ich darüber, mir einen eigenen Framus-Bass zu bauen, weil ich den Korpus-Stil von Framus noch lieber als den Warwick-Look mag.

Vielen Dank Juan, für das interessante Gespräch. [3910]

(erschienen in Gitarre & Bass 03/2018)

Produkt: Gitarre & Bass 7/2023
Gitarre & Bass 7/2023
IM TEST: Magneto Guitars Eric Gales Signature RD3 +++ Lenz Hot Chili Tube-Head +++ Marshall Guv’nor, Drivemaster, Bluesbreaker, Shredmaster Reissue Pedals +++ Glockenklang Blue Bird Bass-Amp +++ Fender Gold Foil Jazz Bass +++ Walrus Audio Fundamental Reverb und Delay +++ Blackstar Debut 50R Gitarren-Combo +++ Epiphone Adam Jones Les Paul Custom Art Collection +++ Boss Waza-Air Bass Headphones

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