Ein Amp für alle Fälle

Orange 4 Stroke 500, Bass-Amp im Test

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Die Basswelt staunte nicht schlecht, als sich Orange vor zwei Jahren mit dem schweren OB-1-Transistor-Topteil gegen den Class-D-Trend wendete und die beliebte Terror-Bass-Serie einstampfte. Die Briten bleiben sich seither treu und präsentieren mit dem 4 Stroke 500 einen weiteren Analog-Boliden, den man so von dieser Firma nicht erwartet hätte …

(Bild: Dieter Stork)

Auf den ersten Blick verkörpert dieser Verstärker nämlich ein Konzept, das nicht so recht zum One-Trick-Pony-Image der Marke passen will. Orange-Verstärker klingen meist rotzig und sind traditionell auf das Allernötigste reduziert – warum also nun ein absolut cleaner Bassverstärker mit vollparametrischer Klangreglung und On-Board-Kompressor? Ganz einfach, weil es 1. Sinn macht und 2. der Schein trügt! Wieso, warum und weshalb klären wir in diesem Test!

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Richtig oder gar nicht

Das neue Voll-Transistor-Topteil ist Oranges zweite Offensive in Richtung Rackformat und kommt in einem robusten, 2HEStahlblechgehäuse. Neben unserer gut 10 kg schweren 500-Watt-Variante gibt es außerdem noch ein 300-Watt-Modell, das nur unwesentlich leichter ist, dafür jedoch den Geldbeutel etwas schont. Wie die Beschriftungen auf der sauber verarbeiteten Platine verraten, nutzt der 4 Stroke die gleiche analoge Class-A/B-Endstufe wie der OB-1; ein fetter Ringkerntrafo bürgt hier glaubhaft für die angegebene Leistung. Auf der Frontplatte muss man sich in Brit-Manier von rechts nach links orientieren und obwohl es reichlich Regler zu entdecken gibt, halten die Orange-typischen Pictogramme alles schön übersichtlich. Auf der großen, schwarz unterlegten Fläche findet neben der Eingangsbuchse und dem Pad-Schalter für aktive Bässe auch die umfangreiche EQ-Sektion Platz.

In der oberen Poti- Reihe stehen hier vier EQ-Bänder mit jeweils 18 dB Boost oder Cut bereit; jedes Band ist außerdem an einen Regler in der unteren Reihe gekoppelt, mit dem die Arbeitsfrequenz eingestellt wird. Die vier Frequenzbereiche 40-400 Hz, 80-800 Hz, 250-2500 Hz und 550-5500 Hz überschneiden sich deutlich, sodass jedes Band auch dafür genutzt werden kann, in einem der benachbarten Bereiche auszuhelfen – was wiederum nochmals die Reserven beim Verstärken oder Dämpfen einzelner Frequenzen steigert. Sämtliche Potis am 4 Stroke arbeiten in kleinen Raster- Stufen, sodass man seine Einstellungen leicht reproduzieren kann, hilfreich sind dabei auch die kontraststarken Skalenstriche.

Hinter dem EQ wird es ziemlich übersichtlich: Ein Regler für die Lautstärke, ein weiterer für den Kompressor, das war’s. Ganz Old School verzichtet das Topteil sogar auf ein Master-Volume – für zerrige High-Gain-Sounds gibt es schließlich den OB-1. Laut Amp-Designer Ade Emsley, standen bei der Schaltung des mit einem Schraubzwingen-Symbol gekennzeichneten Class-A-Kompressors diverse Studio-Klassiker Pate. Wie stark der Kompressor arbeitet, lässt sich an der Leuchtintensität der benachbarten blauen LED ablesen, das Ganze ist außerdem bei Bedarf auch fußschaltbar (Fußschalter nicht im Lieferumfang enthalten).

(Bild: Dieter Stork)

Auch die Rückseite wurde auf das Wesentliche reduziert. Pflicht ist – gerade bei Rack-Amps – natürlich ein guter Lüfter! Orange setzt hier erfreulicherweise auf ein temperaturgesteuertes Aggregat, das erst dann loslegt, wenn es auch gebraucht wird – da freuen sich Tontechniker und Band-Kollegen! Das gesamte Gehäuse ist außerdem ringsherum mit zahlreichen Lüftungsschlitzen versehen, sodass der Amp auch im Rack noch genug Luft zum Atmen bekommt. Direkt neben dem Lüfter findet man die beiden parallel geschalteten Speaker-Ausgänge im Speakon-Format. Hier werden maximal 500 Watt RMS abgegeben, wobei eine Mindestimpedanz von 4 Ohm nicht unterschritten werden darf. Seltsamerweise wurde der DI-Ausgang des 4 Stroke – wie auch die benachbarte 6,3-mm-Line- Out-Buchse – im Signalweg fest hinter EQ und Volume-Poti platziert, sodass sich Änderungen an der Klangreglung oder Lautstärke im Live-Betrieb auch auf den PA-Sound auswirken. Immerhin wurde an einen Ground/Lift-Schalter gedacht, mit dem sich unerwünschte Brummschleifen eliminieren lassen. Zuletzt lässt sich an einem Schiebeschalter über dem Netzanschluss die Betriebsspannung von 220- 240 V auf 100-120V umschalten, womit sich der neue Orange (nach dem Wechsel der Hauptsicherung) auch als internationaler Tour-Amp qualifiziert. Unterm Strich ist der 4 Stroke erstaunlich geradlinig und übersichtlich aufgebaut. Die Verarbeitung entspricht dem Industriestandard und zeigt keine konstruktiven Schwächen.

Transistorwärme

Schon beim Einschalten verhält sich der neue Zögling vorbildlich: Hier muss man keine hässlichen Knackgeräusche fürchten, die Einschaltverzögerung sorgt außerdem dafür, dass auch daheim die Sicherung nicht rausfliegt. Im normalen Spielbetrieb ist der 4 Stroke bemerkenswert nebengeräuscharm, selbst weit aufgerissen ist nicht mal ein leises Rauschen zu vernehmen. Mit allen EQ-Bändern auf 12 Uhr und abgeschaltetem Kompressor klingt der neue Orange schon erstaunlich warm, rund und groß. Das Signal ist wirklich clean ohne dabei analytisch rüberzukommen – man meint hier eher die Wärme und leichte Kompression eines großen Röhren-Amps im Rücken zu haben. Die Lautstärkereserven der 500- Watt-Variante sind außerdem immens – entsprechend ist der Volume-Regler mit Vorsicht zu genießen.

(Bild: Dieter Stork)

Üben bei gemäßigter Zimmerlautstärke kann man ziemlich vergessen, dieser Amp will im Proberaum mit einer potenten Box gepaart werden. Der EQ lässt sich – gemessen an seinen nicht enden wollenden Möglichkeiten – erstaunlich leicht bedienen, den Rasterpotis sei Dank! Jeder Raster-Klick macht einen hörbaren Unterschied, sodass man sich schrittweise an seinen Wunsch-Sound heranarbeiten kann, ohne den Überblick zu verlieren. In den Mitten lassen sich drastische, wohlplatzierte Aushöhlungen ebenso leicht erreichen wie ein super dichtes Rockbrett. Utratrockene Slap-Sounds, warmer Fingerstyle oder dengeliger Plektrum-Punk – alles machbar mit der extrem praxisgerechten Klangreglung.

Besonders interessant arbeitet die Parametrik in den Höhen und Bässen, wo man sie sonst eher selten antrifft. Am Treble-Poti lässt sich die Offenheit des Topteils von aggressiv und schroff bis silbrig edel durchstimmen, wobei der Orange sein Rocker-Herz nicht ganz verbergen kann. Super brillante HiFi-Klänge wirken im Vergleich zu weicheren und erdigeren Einstellungen einen Tick weniger authentisch – hier meckern wir jedoch schon auf sehr hohem Niveau. Einen unerwartet hohen Praxiswert bietet die Parametrik beim Bass-Regler, mit ihr lässt sich das Low-End nämlich präzise auf die jeweilige Box bzw. den jeweiligen Raum abstimmen. Tiefere Center-Frequenzen klingen tendenziell moderner und an manchen Boxen auch etwas träger, höhere lassen den 4 Stroke sehr agil, kompakt und rockig wirken. Stimmt man die Bässe am Frequency-Poti langsam durch, ist schnell eine Stelle gefunden, bei der die Box schiebt ohne überfordert zu sein – mit der gleichen Methode kann man übrigens auch dröhnige Raumresonanzen ermitteln und herausfiltern.

(Bild: Dieter Stork)

Ein echtes Highlight ist zu guter Letzt der simple Kompressor. Anders als bei vielen anderen Onboard-Aggregaten, wird das Signal durch die Kompression nicht leiser sondern lauter, was jedoch mit einem Griff zum Gain-Poti schnell kompensiert ist. Der Klang gewinnt deutlich an Obertönen, Dichte und Direktheit, der Tiefbassbereich wird außerdem aufgeräumter und „sportlicher“. Das Spielgefühl erinnert fast ein bisschen an einen Overdrive-Sound, nur ist das Ganze de facto immer noch clean. Spätestens bei einer Kompressor-Einstellung von 10- 12 Uhr geht der Ton jedoch stark in Richtung „Dirty-Clean“, ab 13 Uhr setzt dann langsam eine zunächst eher milde Verzerrung ein, die auf dem letzten Viertel noch recht garstig wird. Besonders in dem Bereich zwischen 9 und 13 Uhr verhält sich der 4 Stroke ausgesprochen röhrig – mit geschlossenen Augen würde man hier kaum einen Volltransitor-Amp vermuten. Der etwas ungewöhnliche Kompressor lässt sich in der Praxis daher auch wie ein Voicing-Regler einsetzen, mit dem man den ehrlich nüchternen Grundcharakter stufenlos in Richtung heiße Röhre färben kann.

Alternativen

Das Konzept des 4 Stroke ist in dieser gleichermaßen reduzierten wie konsequenten Umsetzung ziemlich einzigartig. Dennoch gibt es Verstärker, die dem neuen Orange in Teilaspekten ähneln. Der Hartke LH-500 (ca. € 300) beispielsweise vereint wie unser Testkandidat eine analoge 500Watt-Class-A/B-Endstufe mit extrem reduzierten Bedienelementen und einem überraschend warmen Grund- Sound. Das leistungsstarke Hybrid-Topteil verzichtet auch auf einen Master-Volume- Regler, allerdings ist der EQ deutlich simpler und weniger vielseitig als beim Orange aufgebaut. Steht tonale Flexibilität im Vordergrund, lohnt es sich, den Mesa Subway D-800+ (ca. € 1300) auszuprobieren. Das federleichte Class-D-Topteil bietet neben zwei parametrischen Mitten-Bändern diverse Voicing-Schalter und -Potis sowie einen regelbaren Highpass- Filter. Übersichtlichkeit ist sicher nicht die größte Stärke des Mesa, dafür gibt es jedoch einen ganzen Haufen Anschlüsse, sowie die gewohnt hohe Mesa- Bauqualität.

Resümee

Das auf den ersten Blick etwas Firmen-untypische Konzept des 4 Stroke macht bei näherer Betrachtung absolut Sinn. Wo Orange bisher für betuchte Röhren-Fans den AD200 MK3 und für Zerr-Freaks den bezahlbaren OB-1 im Programm hatte, gesellt sich mit dem 4 Stroke nun ein erschwinglicher Clean-Experte dazu. Die Qualität mit der hier alle Facetten des unverzerrten Tons bis hin zum leichten Rotz abgedeckt werden, ist nicht nur gemessen an der Preisklasse absolut bemerkenswert. Eine so kraftvolle, lebendige und inspirierende Klanggewalt bekommt man nur selten von einem Transistor- oder Hybrid- Amp geboten. Chapeau!

Plus

  • Optik
  • Konzept, Geradlinigkeit
  • Verarbeitung
  • extrem flexibler EQ mit Rasterpotis
  • einfacher, effektiver Kompressor
  • Nebengeräuscharmut
  • temperaturgesteuerter Lüfter

Minus

  • DI-Ausgang fest hinter EQ und Volume platziert

Aus Gitarre & Bass 05/2017

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