The Aristocrats:

Guthrie Govan & Bryan Beller im Interview

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Was im Januar 2011 während des Anaheim Bass Bash im Rahmen der Winter-NAMM-Show als lockerer Zusammenschluss dreier Ausnahmekönner über die Bühne ging, hat sich mittlerweile als feste Band etabliert: The Aristocrats.

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(Bild: The Aristocrats)

Die Gruppe besteht aus Gitarrist Guthrie Govan (Asia, Steven Wilson), Bassist Bryan Beller (Frank Zappa, Steve Vai, Joe Satriani) und Schlagzeuger Marco Minnemann (Joe Satriani, H-Blockx, Udo Lindenberg). Govan war für dieses Unternehmen ursprünglich gar nicht vorgesehen, sondern sprang kurzfristig für den verhinderten Greg Howe ein und entpuppte sich dann als wahrer Glücksgriff. Eine einzige Probe und ein Gig reichten aus, um bei den Beteiligten den Wunsch zu wecken, aus dem temporären Messeprojekt eine richtige Band zu machen. 2012 folgte eine erste große Tournee durch Nordamerika, Europa, Israel, Südkorea und Japan, seither sind drei Studio-Alben und zwei Live- Scheiben entstanden. Im Herbst 2015 gastierte das Trio in der Hamburger Fabrik. Wir verabredeten uns mit Beller und Govan, um hinter das Geheimnis dieser außergewöhnlichen Band zu kommen und gleichzeitig einen Blick auf ihr hochwertiges Instrumentarium zu werfen.

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Bryan und Guthrie, wann habt ihr entschieden, aus dem Anaheim-Bass- Bash-Projekt eine richtige Band zu machen?

Bryan Beller: Noch während der Messe, denn die Reaktionen auf die erste Show waren mehr als nur ermutigend. Wir spürten, dass da etwas sehr Wertvolles entsteht, also machten wir einfach weiter. Dann kam die Idee eines Albums auf, wir gründeten unsere eigene Plattenfirma und sagten uns: „Lasst uns das Ding auch nach Europa bringen und schauen, ob es dort ebenfalls funktioniert.“ Das sind zwar geschäftliche Belange, aber auch die müssen beachtet werden. Alles hängt davon ab, ob das Publikum unsere Songs mag und ob wir selbst Spaß daran haben. Natürlich spielen wir komplizierte Musik mit unglaublich vielen Noten, aber für uns ist das sehr inspirierend und die Zuschauer mögen es.

Guthrie Govan: Die Energie, die bei uns entsteht, könnte man mit der im Jazz vergleichen. Wir nehmen uns alle künstlerischen Freiheiten, um etwas Unvorhergesehenes zu kreieren. Manches davon entsteht spontan und quasi wie aus dem Nichts. Andererseits sind wir in klanglicher Hinsicht eine normale Rock-Band, die versucht, extreme Dinge auszuprobieren und die stilistischen Grenzen eines Power-Trio-Formats auszuloten. Uns geht es darum, diejenigen Dinge zu zelebrieren, die entstehen, wenn wir drei uns im gleichen Raumbefinden und zusammen Musik machen. Wir wollen das heute übliche Procedere von Bands vermeiden, untereinander nur noch per Files zu kommunizieren. Wir wollen im gleichen Raum gemeinsam Musik machen und sie auch im Studio in einer Art Live-Situation aufnehmen, um anschließend mit dem Ergebnis so häufig wie möglich zu touren. Ich weiß, dass alles sind typische Merkmale einer betagten Rock-Band (grinst), aber in unserem Fall funktioniert es.

Ihr seht euch also nicht als Jazz-Rock- Trio?

Bryan Beller: Es ist Rock-Jazz, Rock steht an erster Stelle. Ich zögere, unsere Musik als Jazz zu bezeichnen. Guthrie hat mal einen passenden Kommentar dazu abgegeben: „Wenn Musik keinen Gesang hat und nicht von Yngwie Malmsteen stammt, halten es die Menschen für Jazz.“ Das mag stimmen, aber wir sagen, dass es in der Musik sehr viel mehr Raum gibt, bevor man sich auf die J-Side begibt.

Guthrie Govan: Es ist die Freiheit, die wir uns nehmen, um die uns viele Jazz-Musiker sicherlich beneiden.

Worin bestehen die offensichtlichsten Unterschiede zwischen den Songs von Bryan, denen von Guthrie und denen von Marco?

Guthrie Govan: Bryans Songs haben die anspruchsvollsten Gitarren-Parts. (lacht) Meine wiederum haben sehr trickreiche Bass-Parts und für Marcos Stücke benötigt man 50 Instrumente, aus denen wir dann auswählen dürfen, welche Parts wir spielen wollen. (lacht)

Inwieweit hat sich euer Stil über die drei ersten Scheiben verändert, weiterentwickelt?

Govan: Kompositorisch wohl nicht so sehr, wenn überhaupt gibt es Unterschiede hinsichtlich der Produktion. Auf ,Tres Caballeros‘ gibt es mehr Overdubs als auf ,The Aristocrats‘ und ,Culture Clash‘. Außerdem: Je besser wir uns kennenlernen umso mehr trauen wir uns, irgendwelche verrückten oder dummen Sachen auszuprobieren, die am Ende dann doch wieder typisch nach The Aristocrats klingen.

Bellers Pedalboards mit (v.l.o.n.r.u.) Ernie Ball Volume Pedal, Boss TU-2 Chromatic Tuner, Aphex Bass Exciter, Darkglass Vintage Microtubes, Boss OC-2, Xotic Effects Bass BB Preamp, Digitech XSeries Bass Driver, Xotic Effects EP Booster, Demeter Opto-Compulator, TC Electronic Flashback Delay, Providence Bass Chorus, Boss DD-3, TC Electronic Hall Of Fame Reverb & Dunlop CryBaby Bass Wah

Eine Frage steigenden Selbstvertrauens?

Govan: Absolut. Man traut sich, auch ungewöhnliche Genres mit einzubeziehen, ohne sich Sorgen zu machen, dass die Identität der Band verloren geht. Die nämlich basiert nicht auf einem bestimmten Stil, sondern darauf, was entsteht, wenn wir drei im gleichen Raum sind. Der typische Aristocrats- Sound entsteht aus dem Zusammenspiel der drei Band-Mitglieder.

Gibt es Songs auf ,Tres Caballeros‘, die ihr live nicht reproduzieren könnt?

Govan: Nein. Das war ja der große Vorteil dieser Vorproduktion mit Publikum. Wenn man eine Rohfassung gefunden hat, die vor Zuhörern funktioniert, kann man sie im Studio mit Overdubs nicht mehr versauen.

Beller: Ich muss zugeben, dass ich vor der ersten Test-Show ein wenig nervös war, denn wir spielten die nagelneuen Songs zum ersten Mal vor Fans und konnten nur sagen: „Okay, hier ist unser neues kleines Baby, wir hoffen, ihr mögt es!“

Gallien-Krueger 2001RB mit Neo 4x12er Boxen

Sprechen wir über euer aktuelles Equipment. Mit einem Victory-Topteil und einem Fractal Audio System als Pedalboard ist Guthrie erstaunlich modern ausgerüstet. Ich hätte mehr Vintage-Pedale erwartet.

Govan: Das Fractal Audio System habe ich gezielt für diese Tour gekauft, obwohl ich alte analoge Pedale bevorzuge. Im Studio ist der Fußboden vor meiner Anlage mit abgefahrenen Pedalen komplett zugedeckt. Ich mag diese Geräte, die kleinen Knöpfe, die einem genau anzeigen, wie sich der Sound verändern lässt und wie die Signalkette verläuft. Der Grund, weshalb ich mich erstmals mit der „bösen Welt“ digitaler Geräte beschäftigt habe, ist der üppige Sound auf ,Tres Caballeros‘ und mein Wunsch, die teuer klingende Produktion so gut wie möglich auch auf die Bühne zu bringen, ohne dabei die begrenzten Transportmöglichkeiten einer Tour aus den Augen zu verlieren. Mit der Fractal-Einheit schien mir diese Möglichkeit gegeben zu sein. Bislang habe ich digitale Modeling-Maschinen gehasst, sie waren für mich nichts weiter als ein notwendiges Übel und nur ein Kompromiss zu den originalen Fußpedalen. Ich muss aber zugeben, dass die Jungs von Fractal ihre Sache wirklich gut machen und man dem Originalsound der Effektpedale erstaunlich nahekommt.

Bei Bryan sieht die Sache genau gegenteilig aus: Dein Pedalboard ist randvoll mit kleinen Effektpedalen. Es ist mit den gleichen 14 Geräten wie auf der Satriani-Tour im Oktober bestückt …

Beller: … aber dennoch ein klein wenig anders konstruiert. (lacht) Ich habe neben Tuner und Volume-Pedal ein Octave- Pedal, ein paar Overdrive-Effekte mit angeschlossenem Equalizer, einen Filter, ein WahWah und ein paar Modulatoren mit Reverbs und Delays plus Kompressor für den Ein- und Ausgang. Bei Satriani hatte ich alles in einem großen Pedalboard aus Stahlgehäuse und mit massivem Gewicht. Für eine Tour mit Nightliner und zusätzlichem Truck ist das die richtige Wahl, denn man braucht etwas, das absolut robust ist und auch harte Stöße absorbieren kann. Mit den Aristocrats sieht die Sache anders aus, weil wir auf dieser Tour nahezu alles alleine machen und immer ein Auge auf unser Equipment haben.

Ich muss diesbezüglich dem genialen Thomas Nordick danken, einem Techniker in Los Angeles, der auch schon für Frank Zappa und Steve Vai gearbeitet hat. Thomas schlug vor, das große Satriani- Board in zwei Hälften zu teilen. Er sagte: „Ich habe da dieses superleichte Material, das ich mit Klettband auslege. Wir teilen einfach die Effektpedale auf zwei Boards und verlinken die Stromzuführung mit einem achtpoligen MIDI-Kabel.“ Insofern habe ich jetzt zwei kleine Boards, die mit einem Audio-Jumper und einem Midi-Kabel miteinander verlinkt sind, sodass ich nur eine Stromquelle für beide Boards benötige. Ich kann diese Boards direkt übereinander stapeln und in ein kleines Plastikgehäuse verstauen, das man beim Militär verwendet. Alles zusammen wiegt unter 23 Kilo. Das Gewicht ist für den Transport und für ein Tour-Budget, bei dem man als Musiker alles selbst zahlt, natürlich von elementarer Bedeutung.

Letzte Frage: Besteht eure Fan-Gemeinde überwiegend aus Musikern und damit aus besonders kritischen Zuhörern?

Beller: Na ja, im Publikum befinden sich natürlich auch einige Musiker …

Macht das die Sache für euch schwieriger?

Beller: Nein. Ich mag das. Es ist nun einmal das Leben, das wir gewählt haben.

Du kennst das Phänomen ja auch von Satriani.

Beller: Ja und nein. Zu den Satriani-Shows kommen natürlich viele Gitarristen, aber man trifft auch Publikum, das einfach einprägsame Melodien in einem nachvollziehbaren Rock-Rahmen hören will. Denn die Satriani-Formel ist simpler als die der Aristocrats, und ich sage das ohne Wertung, denn Joe möchte ja auch das Mainstream- Publikum erreichen, und nicht nur Musiker. Aber ich denke, dass es auch bei den Aristocrats Fans gibt, die keine Musiker sind. Deren prozentualer Anteil ist sicherlich geringer als bei Satriani-Shows. Aber wie ich immer wieder erwähne: Ich mag die Vorstellung, dass wir etwas spielen, das andere Musiker inspiriert und auf neue Ideen bringt. Wir hoffen, dass wir Grenzen überwinden und andere Musiker ermuntern, das zu spielen, was Guthrie mitunter spaßeshalber als „verbotene Musik“ bezeichnet.

Wobei es sicherlich nicht einfach ist, vor einem Publikum zu spielen, das die Sache besonders kritisch beurteilt. Musiker gelten als härteste Kritiker, oder?

Beller: Ja, aber sie können nicht härter sein,als wir selbst mit uns sind. (lacht)

Govan: Außerdem haben die Leute viel Geld für das Ticket ausgegeben und wären schlecht beraten, nur auf vermeintliche Fehler von uns zu warten, anstatt die Show zu genießen. Wir versuchen authentisch zu sein und unsere Musik mit Spaß zu verbinden. Wir nehmen uns selbst zwar nicht übermäßig ernst, sehr wohl aber unsere Musik. Ich denke manchmal, dass unsere Zuschauer ganz ähnlich ticken und lediglich etwas jünger als wir sind. Aber das ist ja nun wirklich kein Nachteil.

Gutes Schlusswort! Danke für das interessante Gespräch!

 

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The Aristocrats beim Soundcheck (Bild: Matthias Mineur)

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