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Extended Range Guitars: Kiesel Guitars VM8 im Test

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Als Kiesel Guitars 2011 (und somit noch unter dem Namen Carvin) mit der DC800 ihre erste 8-String vorstellten, wurde ich zum ersten Mal so richtig aufmerksam auf die Gitarrenschmiede aus Kalifornien.

(Bild: Simon Hawemann)

Zwar hatten die Semi-Custom Spezialisten schon siebensaitige Gitarren im Sortiment, allerdings waren mir die Formender damaligen Modelle zu rund und gefällig. Einzig die scheinbar unendliche Vielfalt von Tonhölzern, Finishes und Spezifikationen waren von Anfang an enorm interessant für mich. Die DC800 sorgte dann jedenfalls dafür, dass ich mich zum ersten Mal so richtig intensiv mit Carvin auseinandersetzte. Das Design gefiel mir auf Anhieb vom Korpus bis zur Kopfplatte ausgesprochen gut. Und dieses Instrument läutete definitiv den Anfang einer gewissen Neufindungsphase für die Firma ein, die in einer Gitarre wie der Vader Multiscale 8-String mit Sicherheit einen seiner Höhepunkte findet.

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Paradigmenwechsel

Der Erfolg der DC800 muss bei Carvin damals ganz schön die Wände zum Wackeln gebracht haben. Denn während die Entwicklung neuer Modelle bis dahin eher in einem gemäßigten Tempo ablief, ging es seitdem Schlag auf Schlag. Die DC7X, eine Bariton 7-String, ließ nach vielen Nachfragen seitens der ERG Szene nicht lange auf sich warten. Und mit der Veröffentlichung dieses Modells trat für mich auch zum ersten Mal das heutige Gesicht von Kiesel Guitars, Jeff Kiesel, öffentlich auf den Plan. Von da an gab es kein Halten mehr… neben einer Vielzahl neuer, von Jeff designter und entwickelter Modelle, gab es 2015 ein Rebranding von Carvin Guitars zu Kiesel Guitars. Aber wie funktioniert eigentlich das Semi-Custom-Prinzip von Kiesel Guitars?

(Bild: Simon Hawemann)

Das ist relativ schnell und einfach erklärt! Es gibt eine Vielzahl vorgegebener Modelle mit verschiedenen Korpusformen und Konstruktionsarten, die meisten auch mit 7 oder sogar 8 Saiten. Jedes Modell hat einen sehr erschwinglichen Basispreis. Bei der VM8 sind es schon verhältnismäßig hohe $1499, bei der DC800 liegt er aber z. B. nur bei $1049. Den Einstieg ins Kiesel/Carvin ERG-Line up gibt es mit der DC727 sogar schon zu einem Basispreis von lediglich $869.Für eine Made-in-USA-7-String mit durchgehendem Hals ist das beinah schon geschenkt.

Und ja, es ist möglich, eine Gitarre komplett zum Basispreis zu bestellen! Eine Vielzahl der wählbaren Spezifikationen kosten keinen Aufpreis. Exotischere Tonhölzer sowie Tops, aufwendigere Finishes und exklusivere Features haben allerdings ihren Preis! Exerzieren wir doch mal zwei ganz verschiedene Wege am Beispiel VM8 durch: Zum Basispreis von $1499 kriegt man zum Beispiel eine Vader Multiscale 8 mit Erlekorpus, Ahornhals, Ebenholz-Fretboard, einfarbigem Glanz- oder Mattfinish nach Wahl und zwei Humbuckern. Nach oben sind allerdings kaum Grenzen gesetzt. Bestellt man das gleiche Modell mit Koa Korpus und geflammtem Koa Top, einem siebenteiligen Hals mit geflammtem Ahorn-Fretboard, Stainless Steel Frets und sonst allen teuersten Features, landet man schon um $3750. Und dann gibt es noch ein paar Optionen nur auf Anfrage, wie gebeizte Griffbretter oder spezielle Finishes, mit denen man den Preis auch auf über $4000 treiben kann. Von den Jeff persönlich gebauten, sogenannten ”Kiesel Editions” wollen wir gar nicht erst anfangen. Die sind quasi das Equivalent zum PRS Private Stock und gehen auch preislich in diese Richtung.

Der Clou ist allerdings, dass sich all diese Varianten qualitativ überhaupt nicht unterscheiden. Die Qualität steckt nämlich schon im Basispreis. Lasst euch das auf der Zunge zergehen: Egal, ob man bei Kiesel Guitars $700 (so viel kostet das günstigste Modell, allerdings nur mit 6 Saiten) oder $4000 ausgibt – man bekommt die gleiche, Made In USA, Semi-Custom-Qualität! Das bietet kein anderer Gitarrenhersteller…

Die Macht sei mit dir

Aber kommen wir zu der Vader, die mir zum Test vorliegt. Die VM8 vereint gleicheine Vielzahl von gefragten ERG-Specs: Zum einen ist die Gitarre”headless”, hat also keine Kopfplatte – eine von Steinberger in den 80ern popularisierte und in den letzten Jahren, besonders von .strandberg*, revitalisierte Konstruktionsart, die für ihre Ergonomie und den dadurch erhöhten Spielkomfort bekannt ist. Obendrauf gibt es die bei der Zielgruppe sehr gefragten, gefächerten Bünde. Das heißt in diesem Fall, dass das Fretboard auf der tiefen F#-Saite eine Mensur von 27,5 Zoll hat – auf der hohen E-Saite sind es die klassischen 25,5”. Die Vorteile der sogenannten Multiscale-Konstruktion liegen auf der Hand! Während es im Low End dank Bariton-Mensur straff zugeht, flutschen Soli auf den hohen Saiten wie gewohnt. Für den Sound bedeutet das eine erhöhte Transparenz in den tiefsten Lagen, ohne jedoch Gefahr zu laufen, dass es oben rum schrill wird.

Die Holzauswahl des Testobjekts ist nicht nur schick, sondern auch auf den idealen Sound eines Extended Range Instruments zugeschnitten: Der fünfteilige Ahorn/Walnusshals mit Ebenholzgriffbrett geht fließend in den kompakten Korpus mit Sumpfesche flügeln über. Für den letzten Schliff sorgt ein Ebenholz-Top mit dezenter Maserung, das mit dem Griffbrett wirklich einen sehr homogenen Look erzeugt. Auch die Rückseite wirkt mit den überwiegend hellen Hölzern wie aus einem Guss! All diese Tonhölzer sind für einen eher hellen und transparenten Klang bekannt, sollten der Vader also bei der Übertragung des tiefen Tunings ordentlich auf die Sprünge helfen. Überrascht bin ich allerdings über das verhältnismäßig hohe Gewicht der Vader. Ich habe hier ein absolutes Fliegengewicht erwartet… das ist jedenfalls Teil des Rufes, der Headless Gitarren vorauseilt.

Speziell für die Vader Multiscale angefertigt: Hipshot Bridge mit Tuning Mechaniken (Bild: Simon Hawemann)

Die speziell für Kiesel Guitars entwickelte Bridge ist auf den ersten Blick ein ziemlich massives Gerät. Die hinten über den Korpus hinausragenden Stimm-Mechaniken machen einen sehr soliden Eindruck und man hat so weit gedacht, unter diesen eine Aussparung zu fräsen damit man beim Stimmen nicht zu sehr in Bedrängnis kommt. Ebenfalls lobenswert zu erwähnen sind die von Jeff Kiesel persönlich entwickelten und an den Winkel der gefächerten Bünde angeglichenen, passiven Humbucker, über die man via 5-Wege-Schalter sowie Volume- und Tone-Poti jederzeit die Kontrolle behält. Zu guter Letzt hat man das Hinterteil der VM8 mit zwei Gurtpins jeweils ober- und unterhalb der Bridge ausgestattet. Man kann die Gitarre somit wirklich überall stabil abstellen – die Vader wird nie aus dem Gleichgewicht kommen. Hier wurde wirklich von vorn bis hinten mitgedacht!

Specs:
• Sumpfeschekorpus
• Ebenholz-Top
• Ahorn/Walnusshals (5-teilig)
• 27.5” – 25.5” Multiscale-Mensur
• Ebenholzgriffbrett
• Stainless Steel Jumbo Frets
• Kiesel Lithium Pickups (passiv)
• 5-Wege-Schalter
• Volume/Tone-Poti
• Hipshot-Bridge und -Hardware

Comfort Zone

Sämtliche Mythen über ergonomisch designte Headless ERGs bestätigen sich in dem Moment, in dem ich mir die Vader in klassischer Position auf den Schoß lade. Der kompakte Korpus und der Fakt, dass der ganze Hals dank der Konstruktion der Bridge zwangsläufig deutlich näher an den Spieler heranrückt, macht alles einfacher. Ich sitze hier besonders für‘s Songwriting oft mit einer normalen Kiesel 8-String und muss mich mit dieser definitiv mehr ins Zeug legen, um die komplette Range bequem zu bearbeiten. Das geht mir jetzt mit der Vader alles so leicht von der Hand, dass es das reinste Vergnügen ist. Auch der ”Fan” (kurz für den Winkel der gefächerten Bünde) ist so noch ein Stück bequemer zu bespielen als z. B. bei meiner Kiesel Aries 7 Multiscale (mit Headstock). The Hype is real, wie man so sagt. Von der 27,5”-Mensur auf der tiefsten Saite bin ich absolut begeistert. Das F# steht nicht nur als Single Note wie eine1, sondern weiß sogar als Powerchord zu überzeugen. Das ist bei dem Tuning nicht selbstverständlich, funktioniert aber mit der Vader tadellos. Überhaupt klingt die Gitarre dank der ausgezeichneten Wahl von Tonhölzern ausgesprochen aggressiv und ist mit einem geradezu tollwütig bellenden Attack gesegnet.

Ansonsten klingt die VM8 über die gesamte Range straff und transparent –und dank der kürzeren Mensur auf der Treble Seite des Fretboards, wird’s auf den hohen Saiten trotzdem nicht schrill. Die Kiesel Pickups geben auch eine gute Figur ab, aber das ist für mich keine Überraschung mehr. Jeff Kiesel sprach mich 2014 an, um ein paar seiner Pickup Prototypen zu testen, ich habe mich also schon intensiver mit den sogenannten ”Lithiums” auseinandersetzen können. Ich würde sie am ehesten mit dem Lundgren M8 vergleichen – dem Pickup, auf den Meshuggah seit Jahren schwören. Überzeugen könnt ihr euch mithilfe eines Clips auf dem Gitarre & Bass Sound Cloud Profil!

Als jemand, der jahrelang Ibanez Gitarren gespielt hat und quasi pro Forma bei fast allen Gitarren sofort die Pickups gewechselt hat, ist es ein sehr angenehmer Umstand, eine Gitarre ab Werk so zu bekommen, dass man gar nichts verändern oder upgraden muss. Auch wenn das modifizieren und individualisieren natürlich auch seinen Reiz hat und Spaß macht, aber das geschieht bei Kiesel ja schon, wenn man die Wunschgitarre zusammenstellt. Die Möglichkeiten im Guitar Builder auf www.kieselguitars.com lassen am Ende jedenfalls bei mir keine Wünsche mehr offen, bei denen man nochmal selbst Hand anlegen müsste. Aber klar… wer ganz bestimmte Marken-Pickups will, kann sie entweder direkt zu Kiesel einschicken oder muss sie nachträglich verbauen. Ich kann aber nur empfehlen, die Lithiums mal anzutesten. Was gibt es sonst noch zu sagen?

(Bild: Simon Hawemann)

Der Hals der Vader ist ein wohl dimensioniertes, flaches C und bespielt sich schnell und mühelos. Während der Korpus ein klares Matt-Finish hat, ist der Hals allerdings geölt. Klebrig wird der so schnell nicht! Meine eigenen drei Kiesels haben die mit Tung Oil gefinishten Hälse und ich will nichts anderes mehr spielen, die Vorteile überwiegen! Das einzige, kleine Manko, das ich an der ganzen Gitarre feststellen konnte, ist, dass die Tuner an der Bridge recht schwergängig sind. Wenn es ans Fine Tuning geht, muss man seine Kraft sehr wohl dosieren, sonst schießt man leicht mal übers Ziel hinaus– alternativ regt sich gar nichts. Ich kann mir vorstellen, dass das besonders dann etwas haarig wird, wenn man ein Konzert spielt und nur kurze Stimmpausen hat. Allerdings ist dafür das Tuning ungemein stabil… da regt sich über lange Zeit wirklich nichts.

Fazit

Ich war lange nicht vom Headless-Konzept überzeugt. Auch die Vader gefiel mir nicht auf Anhieb, besonders ästhetisch. Als achtsaitige Multiscale bekommt der Look dieser Gitarre allerdingseinen gewissen Vorwärtsdrang, der dem Modell mit straighten Frets fehlt. Und dieser kleine aber feine Unterschied macht für mich optisch den entscheidenden Unterschied. Natürlich haben gefächerte Bünde noch ganz andere, deutlich elementarere Vorteile. Der Saitenzug ist über die gesamte Gitarre ideal verteilt und der Sound entsprechend ausgewogen. Auch die Bespielbarkeit empfinde ich als einfach.

Am Test-Rig (Vader VM8 > Rodenberg Flux Capacitor OD > EVH 5150 III > Omega ‚Alpha‘ 2×12) (Bild: Simon Hawemann)

Weder bei meiner eigenen siebensaitigen Aries Multiscale, noch jetzt bei der VM8, musste ich mich lange umstellen. Einzig die beim Testobjekt fehlenden Fretboard Marker könnten Multiscale-Neulingen zunächst – besonders überacht Saiten hinweg – Probleme in Sachen Orientierung bereiten. Aber das lässt sich ja anders bestellen. Alles in allem ist die VM8 eine Gitarre ohne Schwächen. Mir fällt es beinah schwer, sie zurückschicken zu müssen. Die Versuchung ist groß, mir in Zukunft eine für‘s Studio zuzulegen. Ich würde vieles ähnlich machen, wie bei dem mir vorliegenden Testobjekt. Eschekorpus, Ebenholz-Fretboard, statt einem Ahornhals vielleicht Walnuss. Die Möglichkeiten sind, wie bereits erwähnt, ja beinahe grenzenlos. Und für einen deutschen Kunden ist der Bestellvorgang an sich genauso einfach, wie für den Käufer aus den USA.

Kiesel K8 vs. VM8 – gewaltige Größenunterschiede (Bild: Simon Hawemann)

Kiesel Guitars verkaufen direkt an ihre Kunden weltweit, es gibt daher keine Vertriebsstrukturen. Einfach in deinen lokalen Gitarrenladen des Vertrauens gehen und eine Vader von der Wand pflücken ist somit keine Option. Man muss sich das Instrument schlichtweg im Guitar Builder auf kieselguitars.com zusammenstellen und dann ca. 10 Wochen Geduld haben. So lange dauert die Fertigung ungefähr. Danach geht das Gerät zu Versandkosten von gerade gut$100 auf den Weg. Die einzige Hürde die man als deutscher Kunde in Kauf nehmen muss, ist der Deutsche Zoll. Ihr müsst euch darauf einstellen, dass die Gitarre direkt beim Zoll landet und dann auf den Rechnungsbetrag entsprechende Steuern und Zollgebühren aufgeschlagen werden. Je nach Versandunternehmen geht die Gitarre wahlweise auch direkt zu euch und ihr müsst die Gebühren an der Haustür bezahlen. Im Kontext dessen, wie viel Gitarre man für‘s Geld bei Kiesel Guitars bekommt, sollte das aber durchaus zu verkraften sein.


Aus Gitarre & Bass 12/2016

Produkt: Gitarre & Bass 6/2023
Gitarre & Bass 6/2023
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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Suche das günstigste Model von Kiesel für 700 Dollar mit 6 Saiten wie im Text beschrieben. Bitte um genaue Angabe der Modelbezeichnung.
    Danke.

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  2. Mich würden die zoll kosten echt interessieren. Ich spiele schon lange mit dem Gedanken. Ich hab mir ne Jericho ignition 8 für 1500 aus Amerika geholt und ungefähr 150 drauf zahlen müssen.
    Aber die 8 seiter von Kiesel würde mich 2500 kosten und da rechne ich eher das ich 300 zahlen muss 😭

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