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Diezel Paul, Tube-Head im Test

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Technisch hochgezüchtete Verstärker für das Hard- und Heavy-Genre, dafür stand der Name Diezel bislang. Was sich mit dem Paul geändert hat. Paul geht andere Wege, Paul ist nicht so ein rigoroser Hardliner, Paul ist nicht aggro, Paul mag zartere Töne…, öhem, Paul ist ein Weichei/Softie!? Nein, das wohl doch nicht, aber er soll im Sound schon mildere Töne anschlagen, heißt es.

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Bevor der Paul auf den Markt kam, war es einige Zeit recht ruhig um die deutsche Edelmarke, die ihren Erfolg in der Heimat erst mit dem Umweg über die USA feierte. Drüben, in den nun so erschütterten Staaten startete der VH4-Head 1999 durch, große Acts wie Metallica, Tool, Limp Bizkit, Korn, Staind u.v.a kauften das vierkanalige MIDI-Topteil, das damals die Spitze der Innovation unter den Röhrenverstärkern darstellte. Und rückblickend definitiv für längere Zeit Trendsetter war. Andere „Meilensteine“ folgten, Herbert, Hagen usw.

Zuletzt brachte Diezel als neues Produkt einen zweikanaligen Vollwert-Amp im Pedalformat heraus, den „Zerrer“. Das war 2014. Genau, wurde wirklich Zeit, dass mit dem Paul mal wieder etwas Neues an den Start kam. Sehr zu unserem Leidwesen, erfreulich aber für die Kunden, hat Diezel allerdings zunächst einmal zugesehen den Bestellungen nachzukommen. Das ist der Grund, warum wir den Paul erst jetzt vorstellen können. Sehr bald soll nun auch ein kleiner Bruder des VH4 herauskommen, der VH2, und den werden wir uns umgehend nach Erscheinen vorknöpfen, versprochen.

Technik De Luxe

Gut informierte Kollegen werden beim Betrachten der Fotos u. U. schon bemerkt haben, dass der Paul einem früheren Modell ähnelt. Ja, die Features sind deckungsgleich mit denen des D-Moll. Die Elektronik wurde neu designt, laut Diezel mit dem Ziel, einen in der Basswiedergabe weniger mächtigen, insgesamt weicher klingenden Amp entstehen zu lassen, einen der sich in „harmloseren“ Stilistiken (Blues, Retro-Rock usw.) optimal entwickelt. Wie Peter Diezel erklärte, ist der Paul parallel auch von dem Modell Einstein inspiriert. Während dieses seiner Aussage nach im Class-A-Bereich arbeitet, bewegt sich Pauls Gegentaktschaltung am oberen, heißen Ende der Class-AB-Kurve. Die Röhren müssen also nicht ganz so hart ackern. Ihre Bias-Spannung ist statisch eingestellt, d. h. sie liegt am Gitter#1 der Endröhren an (Class-A bitte nicht mit Kathodenbias verwechseln; machen die Amis gerne in ihren Produktbeschreibungen).

Es sind zwei separate, mit passiv arbeitenden Dreibandklangregelungen ausgestattete Vorstufensektionen vorhanden, ein Low-Gain-Channel (-1) und ein High- Gain-Kanal mit zwei Soundmodes, Ch 2/3 (wegen dieses Details spricht Diezel selbst von 2,5 Kanälen). Zwei alternativ anwählbare Master-Volumes, ein digitaler Halleffekt/ Reverb, dessen Intensität für den Channel-1 und Channel-2/3 separat dosiert werden kann, Deep und Presence, die auf die Wiedergabe der Endstufe Einfluss nehmen, damit sind die Regelmöglichkeiten erfasst. Für das manuelle Ein-/Umschalten der Master-Volumes und des Reverbs sind zwei Taster vorgesehen. Die Gruppe von sechs Tastern links neben Power und Standby dienen der Direktanwahl der Kanäle und der Steuerung der Funktionen Loop-On/Off, Mute, Store.

Rationeller Aufbau mit immer noch hohem Anteil an Handverdrahtung, qualitativ auf höchstem Niveau (Bild: Dieter Stork)

Letztere verrät, dass Paul über einen Speicher verfügt. Wie man anhand der betreffenden DIN-Buchsen an der Rückseite erkennen kann, steht ein MIDI-Interface zur Verfügung. Darüber können die 128 Presets – die wohlgemerkt ausschließlich den Status der Schaltfunktionen erfassen – aufgerufen werden. Ein XLR-Anschluss für Diezels luxuriöses Schalt-Board Columbus ist ebenfalls vorhanden. Mit dem optional lieferbaren Schaltpedal FS7PA steht eine weitere, kostengünstigere Alternative für die Fernbedienung zur Wahl. Man beachte: Die direkte Ansteuerung der Schaltparameter (CH1, CH2, CH3, Master, Reverb, Loop-On/Off, Mute, Store) über CC-Daten ist nicht implementiert.

Schon jetzt ist klar, dass der Paul luxuriös ausgestattet ist. Hinzu kommt der Komfort, neben dem schaltbaren seriellen Einschleifweg noch einen zweiten, parallelen nutzen zu können. Hohen Gebrauchswert garantiert die Tatsache, dass bei beiden im Signalpegel gleichermaßen Pedal-Geräte (-10 dB) wie auch 0-dB-Prozessoren optimale Anpassung finden. Abgerundet wird die Ausstattung mit dem (Frequency-) Compensated Out, einem D.-I.-Ausgang für Recording u. Ä. Diezel gehört mit zu den Gründern der Boutique-Bewegung, die neben herausragender Funktionalität ihrer Produkte höchste Qualität in der Verarbeitung und den verwendeten Bauteilen für das Maß der Dinge erklärte. Das gilt heute längst nicht mehr für alles was sich Boutique nennt, Diezel gehört aber zu denen, die den Anspruch nach wie vor hoch halten. Dementsprechend finden wir im Inneren der Chassis beste Bauteile und piekfeines Finish vor. Der technische Aufwand ist beträchtlich. Nicht weniger als 14 Relais sind in dem Schaltungskonzept notwendig.

(Bild: Dieter Stork)

Damit Nebengeräusche soweit als möglich minimiert werden, werden die Vorstufenröhren mit Gleichstrom geheizt (was eines zusätzlichen Trafos samt Gleichrichter bedarf). Die Fertigungskosten hält Diezel dadurch im Rahmen, dass die Bauelemente soweit wie möglich auf Platinen kontaktiert werden. Potis und Schalter bleiben außen vor, weswegen der Anteil und Aufwand an Handverdrahtung noch immer hoch ist (unseren Amp hat Angelika zusammengelötet, wie man hinten an ihrer Signatur erkennt … :-). Besonders wählerisch ist Peter Diezel nach eigener Aussage hinsichtlich der Röhren, d. h. er selektiert sorgfältig und setzt in der Endstufe – wie hier – gerne auf KT77-Röhren. V1 und V6 in der Vorstufe ist das (exzellente) Mullard-Remake von Tung-Sol (CV4004/12AX7), für V2 bis V5 fiel die Wahl auf China-Typen der 12AX7. Im primären, den Sound formenden Signalweg ist Paul ein Vollröhrenverstärker. Nur in der Peripherie, z. B. in den FX-Wegen kommen Halbleiter-Bauteile zum Einsatz.

Souverän

Zunächst etwas Grundsätzliches: Paul geht in der Tat mit einer anderen Attitüde an die Sound-Formung heran, als man es bisher von Diezel-Amps gewohnt war. Sie ist von einem eher luftigen, in der Dynamik gezügeltem Charakter geprägt. Damit korrespondiert die Ansprache. Der Spieler erlebt wohl dosierte Nachgiebigkeit beim Anschlag, und Paul liefert ihm trotzdem ein absolutes Maximum an Rückmeldung in den Feinheiten des Klangs. Die Lautstärke ändert sich weniger intensiv, wodurch eine Art Kompressor- Effekt entsteht – dennoch leidet die Durchsetzungskraft nicht. Ein zweites markantes Moment im Verhalten des Paul bildet die Höhenwiedergabe. Sie glänzt brillant und frisch, trumpft auf wie bei einem guten alten AC30, ist auf ihre spezielle Art aber eigentlich noch geschmeidiger. Man kann nämlich die Höhen extrem provozieren, ohne dass sie im Höreindruck unangenehm werden. Was vor allem dem Clean- Kanal/Ch1 nachhaltig zum Vorteil gereicht. Eine gute Vintage-Strat findet hier ideale Arbeitsbedingungen vor. Unter anderem, weil Paul die Eigenheiten des Instruments wie mit der Lupe herausarbeitet und so zum Beispiel den Klang der Pickup-Zwischenstellungen maximal auslotet.

Gleichzeitig ist die Wiedergabe voluminös und hält in allen drei Bereichen der Klangregelung hohe Reserven für die Sound-Abstimmung bereit. Middle greift tief im Frequenzband und beeinflusst so das Volumen, den Körper der Sounds, ebenso wie das Bass-Poti. Es spielt für den Ton auch eine Rolle, wie hoch der Gain-Regler ausgepegelt ist. Der Kanal arbeitet etwa im ersten Drittel des Regelwegs im Grunde völlig clean, danach wachsen in homogenen Übergängen Sättigungsanteile der Röhren an. Subtil, sehr, sehr subtil verdichtet sich der Klang, es werden zunächst nicht vordergründig OD-Verzerrungen hörbar, aber der Ton bläht sich in den Mitten auf. Dem Spieler beschert dieses Verhalten zusätzliche Ausdrucksmittel, kann er doch durch die Anschlagsintensität und die Nutzung des Guitar-Volume-Potis die Tonfarbe steuern. Aber Achtung: Echten Overdrive entlockt eine Vintage-Strat dem Channel 1 nicht. Eine Humbucker- Les-Paul kann das dagegen mühelos. Dank der Transparenz der Wiedergabe finden auch betont kraftvoll klingende Instrumente in diesem Kanal ideale Voraussetzungen vor.

Im Channel 2 formt der Paul sehr harmonisch klingende Verzerrungen, die wiederum von hoher Transparenz geprägt sind. Der Klangcharakter ist verhalten offensiv, sehr obertonfreundlich, bei Soli singend weich mit schmatzendem Biss im Attack und reichlich Sustain- Unterstützung, man könnte fast sagen soft-britisch. Nein, kein „Brown-Sound“, es ist dabei der typische moderne Diezel- Unterton, ästhetisch elegant, unverkennbar. Hohe Gain-Reserven sorgen für einen weiten Einsatzbereich. Channel 2 ist sehr fit für ausdrucksstarken Blues, kann aber andererseits auch entschlossen Hard- Rock u.ä. abliefern. Die effizient arbeitende Klangregelung sorgt dafür.

Channel 3 liefert noch mal Gain-Nachschub, hat mehr Kraft in den unteren Frequenzen, mehr Bassdruck, beißt mehr in den Höhen und bietet so eine willkommene zusätzliche Klangfarbe. Auffällig: Paul beschert hohen Noten satte Fülle, schöne Balance über das ganze Griffbrett, beim Solieren in den oberen Lagen wird Kraft und Tragfähigkeit geboten. Gleichzeitig sind, gemessen an der hohen Verstärkung, die Nebengeräusche gering. Abgesehen von der überzeugenden Sound-Qualität, punkten die Kanäle #2 und #3 damit, dass sie den Spieler unterstützen, ihm ein angenehmes Spielgefühl bieten. Nein, sauber hinlangen wird einem ob der Präzision der Signalbearbeitung nicht erspart, aber man muss nicht herbe um den Ton kämpfen. Superschickes Potential, insgesamt gesehen.

Okay, lassen wir es dabei, sonst komme ich noch ins „xtreme Lobhudeling“. Ein paar Worte aber noch zu den peripheren Funktionen. Sehr von Vorteil ist die Ausstattung mit zwei FX-Wegen. So können unterschiedliche Gerätetypen optimal ihre Fähigkeiten entfalten, zum Beispiel Modulationsgeräte im seriellen Weg, Reverb und (Tape-?) Echo im parallelen FX-Loop. Zur Info: Die Einschleifpunkte liegen selbst zueinander parallel, der Chorus im seriellen FX-Weg gelangt also nicht zum Delay des parallelen FXWeges. Technisch und qualitativ arbeiten die Effektwege bestimmungsgemäß und ganz und gar einwandfrei. Desgleichen die diversen Schaltfunktionen (deren Status wo sinnvoll und nötig von sehr hell blau leuchtenden LEDs optisch angezeigt wird).

Einen extra Pluspunkt kassiert der Compensated Out für seinen sehr gut abgestimmten Frequenzgang. Man beachte aber, dass dieser Ausgang nur bei aufgedrehtem Master-Volume ein Signal abgibt. Der digitale Halleffekt kann ebenfalls überzeugen und es ist natürlich nur praktisch, dass man seine Identität in den beiden Vorstufensektion separat abstimmen kann. Schlussendlich möchte ich darauf hinweisen, dass die Endstufe des Paul sensibel auf unterschiedliche Lautsprechertypen reagiert. Der G12H-Anniversary gefiel mir sehr gut (wie auch Green- und Creambacks), weil er eine Retro-Farbe ins Spiel bringt. Am Vintage 30 macht Paul doch wieder eher in Richtung böser Rocker (ist dann etwas härter drauf als oben beschrieben). An Mesas C90 wiederum wirkte die Wiedergabe etwas nüchtern, unpersönlich; also empfehle ich den Amp unbedingt an verschiedenen Cabs auszuprobieren.

Alternativen

In dieser Preisklasse findet man diverse hervorragende Amps. Powerball II und Savage 120 von Engl, EVH 5150, Mesas Mark 5-25, Orange Rockerverb usw. Konzept und Sound-Charakter des Paul sind in der Summe allerdings so eigen, dass ich eine konkrete quasi deckungsgleiche Alternative nicht nennen kann.

Resümee

Was aus dem Hause Diezel kommt, kann nur hochwertig sein. Soviel war von vorneherein klar. Dennoch ist es überraschend zu erleben, was der Paul zu leisten vermag. Erstklassige Tonformung in allen Soundmodes, die präzise, angenehme Ansprache und eine geradezu luxuriöse Ausstattung addieren sich auf zu einem rundum stimmigen Konzept ohne jede Schwäche. Natürlich muss man unter diesen günstigen Umständen das Preis-/Leistungsverhältnis als ganz und gar unkritisch einstufen. Wer einen Allrounder mit modernem, nicht zu offensivem Touch im Sound sucht, ist beim Paul an der richtigen Adresse.

Plus

  • Sound, hohe Variabilität
  • Dynamik, Transparenz, Präzision, Durchsetzungsvermögen
  • sehr obertonfreundlich, sehr hohe Gain- Reserven m. sehr harmonischer Distortion
  • Konzept/Ausstattung (MIDI, Speicher etc.)
  • sehr geringe Nebengeräusche
  • sehr gute Verarbeitung, Qualität der Bauteile

Soundfiles

Hinweise zu den Soundfiles:

Für die Aufnahmen kamen zwei Mikrofone mit Großflächenmembran zum Einsatz, ein AM11 von Groove-Tubes/Alesis und ein C414 von AKG, platziert vor einem Celestion-Vintage 30 im klassischen 4×12-Cab.

Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und gemastert. Das Plug-In „Platinum-Reverb“ steuerte die Raumsimulationen bei.

Die Instrumente sind eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg) und eine 1957-Signature-Les-Paul „Lee Roy Parnell“ aus dem Gibson-Custom-Shop.

Clip 8 präsentiert mein Referenz-Riff“ (RefRiff), das ich mit jedem Test-Amp/-Distortion-Pedal einspiele, damit man den Charakter der von uns getesteten Produkte quasi auf einer neutralen Ebene vergleichen kann.

Im Clip 9 hören wir den Reverb-Effekt des Paul, mal anders mit eher dezenten Tönen.

Ich wünsche viel Vergnügen, und…,  wenn möglich, bitte laut anhören, über Boxen, nicht Kopfhörer!


(erschienen in Gitarre & Bass 03/2017)

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Nicht der Einstein war Class A, sondern der absolut großartige, aber leider eingestellte Diezel Schmidt. Würde mich ja interessieren, wie die beiden im Vergleich klingen.. Schönes Review! Möge Paul die Welt im Sturm erobern, die beiden Peters haben es verdient.

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